Das Vereinsleben in unserer Heimat, insbesondere die sportliche Betätigung, spielte vor 100 Jahren eine besondere Rolle, da es Radio, Fernsehen und Internet noch nicht gab. Die schwere Zeit nach dem 1. Weltkrieg, mit dem Kampf ums tägliche Brot betraf viele Menschen. Erst der sportliche Ausgleich in der Freizeit ließ diese schwere Zeit überstehen. Die „Nachrichten für Naunhof“ – Amtlicher Anzeiger der Sächsischen Landeszeitung – vom Mittwoch, den 25. August 1920, berichten von einem solchen sportlichen Höhepunkt, mit dem die Kunstradfahrer aus Lübschütz durch eine besonders schwierige Kür die Besucher in ihren Bann zogen. Das Kunstradfahren, balancieren, turnen und drehen mit dem Rad begeistert Jungen und Mädchen bis heute in Nerchau! Es muss mit der Faszination zu tun haben, was heute wie damals mit den zwei Rädern möglich, bzw. unmöglich ist! Wenn dann bei internationalen Wettkämpfen kein Mux* aus dem Zuschauerraum zuhören ist und leise das Klavier beim Vortrag im Hintergrund spielt, bleibt einem der Atem weg. Am Sonntag, den 22. August 1920 feierte der Arbeiter – Radfahrer – Bund „Solidarität“, Ortsgruppe Naunhof in den Räumen des Gasthofes „zum goldenen Stern“ sein 13. Stiftungsfest. Aus vielen Orten waren die Sportgenossen, sowie Freunde und Gönner mit ihren Angehörigen herbeigeströmt, um das Fest mit verschönern zu helfen. Bereits ab 4 Uhr Nachmittag begann der Festball. Auch war eine Tombola mit reichhaltigen Wirtschaftsgegenständen und Galanterieartikeln** zur Aufstellung gekommen. Es bot sich also Gelegenheit, sowohl das Tanzbein zu schwingen, als auch sein Glück mit einem kühnen Griff – natürlich gegen Bezahlung – in die Tombola zu versuchen. Gegen 8 Uhr abends zeigten die Ortsgruppen Naunhof, Nerchau, Lübschütz und Beucha ihre Kunst im Reigenfahren und brachten gut eingefahrene Reigen in altbewährter Weise mit großem Erfolg zur Vorführung.
© Archiv Matthias ZiegertEin Kunstreigen, gefahren von zwei Sportgenossen des Brudervereins Lübschütz auf einem Fahrrad, war besonders sehenswert und der nichtendenwollende Beifall zeigte, welche Anerkennung den ausgezeichneten Kunstfahrern für ihre Leistung entgegengebracht wurde.Der Bruderverein Lübschütz leistete bereits zum
letzten Bezirks-Radfahrerfest hervorragendes und sei deshalb auch hier nochmals erwähnt. Herauf ergriff der Vorsitzende, Sportgenosse Karl Ihme das Wort und hieß die erschienenen Gäste im Namen des Vereins herzlich willkommen. Namentlich die auswärtigen Brudervereine, welche recht zahlreich erschienen waren, zollte er besonderen Dank. Er wünschte den werten Gästen noch ein paar fröhliche Stunden und kurz darauf lockten frohe Ballweisen erneut zum lustigen Tanz. Leider verflossen die wenigen Stunden nur zu schnell, was die rege Beteiligung, die bis zum Schluss anhielt, bewies.
Heimatforscher Mathias Bräuer,
Bilder: Archiv Matthias Ziegert
* Mux = Geräusch
** Galanteriewaren, von französisch galanterie, „Liebenswürdigkeit“, ist eine veraltete Bezeichnung für modische Accessoires.