Wasser gibt es genug rund um Mutzschen: Talsperren, Teiche, Bachläufe und auch die Mulde ist nicht weit. Doch im Grunde genügt schon eine Regenpfütze, um die Faszination von Claude Bernard zu verstehen: „Stell ein Kind ans Wasser, gib ihm ein Stück Holz und es wird glücklich spielen.“ Das sei in seiner Heimat an der Côte d‘Azur nicht anders als in Sachsen. Und weil es den Franzosen der Liebe wegen hierher verschlug, freut sich nun Mutzschen bei Grimma über das wohl einzige Spielschiffmuseum der Welt. Rund 350 Spielschiffe präsentiert Bernard mit seiner Frau in den historischen Räumen am Kirchhof. Geschichten voller Leidenschaft liefert er gleich mit, von denen etliche mit Sachsen zu tun haben. Denn obgleich es hier kaum Sammler gibt, stammen die schönsten Spielschiffe aus Leipzig und aus etlichen „Spielzeugdörfern“ in Thüringen.
INDUSTRIE VOLLER FANTASIE
Zu Beginn des Rundgangs macht der Museumsgründer erst einmal klar, was ein Spielschiff ist. Die ersten, so lernt der Besucher, zogen die Kinder auf Rädern hinter sich her. Andere wurden auf dem Tisch durch imaginäre Ozeane oder Hafenanlagen aus Holzbausteinen gesteuert. Doch die größte Vielfalt der Spielschiffflotte bewegt sich auf dem Wasser. Ob als einfaches Rindenboot oder Segelschiff mit aufwendiger Takelage, sie machten ihre kleinen Besitzer für Stunden zu Kapitänen. Mehr als 1.700 Spielschiffe hat Claude Bernard in den letzten drei Jahrzehnten gesammelt, manche davon sehr selten und kostbar. Dennoch legt er großen Wert darauf, dass in seinem Museum wirklich gespielt wird. Ein großes Wasserfass in der Ausstellung und auch der Teich im Kirchhof deuten unmissverständlich auf gewollte Interaktion hin. Schulklassen oder Familien können selbst kleine Boote bauen und dabei werden selbst gestandene Eltern wieder zum Kind, das am Fluss ein Stöckchen auf die Reise schickt. Zugleich aber erzählt das Museum die Geschichte einer Industrie, die heute fast vergessen ist. Ihren Beginn markiert das Jahr 1855, in dem die Firma Greiner aus Steinach in Thüringen die ersten schwimmfähigen Spielschiffe auf den deutschen Markt brachte. Ein Kaufmann aus Sonneberg hatte zuvor die ersten derartigen Spielzeuge aus England mitgebracht, bald schon waren sie auch in Deutschland sehr beliebt. In der ganzen Region schnitzten und bemalten in dieser Zeit dutzende Handwerker in Heimarbeit Boote und Schiffe aller Formen, Farben und Größen. „Viele taten dies ihr ganzes Berufsleben lang, obwohl sie niemals ein echtes Schiff gesehen hatten“, weiß Bernard.
VERSPIELTER WELTERFOLG
© Michael WenskeDer Begeisterung für die neuen Spielzeuge tat dies keinen Abbruch. Immer neue Modelle kamen auf den Markt, vom Indianerkanu über den Dreimaster bis zur Motoryacht. Etliche blieben bis weit ins 20. Jahrhundert Verkaufsschlager, die teils in die ganze Welt geliefert wurden. Besonders mondäne Boote fertigte etwa die Firma Kellner in Leipzig: Polierte Decks aus Sperrholz und ein Antrieb per Aufzugsmotor machten die exklusiven Spielsachen zu teuren Geschenken für Kinder reicher Eltern. Sie waren auch im Vereinigten Königreich gefragt, obwohl deutsche Produkte in den 1920er-Jahren auf der Insel keinen guten Ruf hatten. Das Problem war freilich leicht gelöst: mit dem Kartonaufdruck „made in England“. Viele Spielschiffhersteller überstanden den Zweiten Weltkrieg und produzierten später in der DDR als volkseigene Betriebe weiter. Auch aus dieser Zeit zeigt das Museum ganz unterschiedliche Designs, bei denen mit den Jahren der Kunststoff zum Material der Wahl wurde. Vielleicht war es dieser Wandel, der das Ende der Spielschiffe aus Deutschland einläutete. Denn Plastikspielzeug wurde bald billiger und bunter in Fernost produziert und die Spielschiffindustrie verschwand. Was bleibt, ist eine faszinierende Vielfalt aus zwei Jahrhunderten, die das Museum in Mutzschen auf liebevolle – und verspielte – Weise bewahren möchte.
Ein Beitrag von Erik Braunreuther