Ein bayrischer Baufachmann machte 1995 in Dresden darauf aufmerksam, dass es einen dörflichen Landesbauwettbewerb gibt, der einen sinnvollen Umgang mit dörflicher Bausubstanz fördert. Dabei steht vor allem der Erfahrungsaustausch der Praktiker im Vordergrund. 1996 fand der erste Wettbewerb statt: ausgerichtet vom Landwirtschaftsministerium, fachlich betreut durch die drei Ämter für Ländliche Neuordnung und organisiert durch den Sächsischen Landesverein für Heimatschutz. Gewertet wurde immer die ganze dörfliche Bausubstanz. Es geht um die Nutzung überlieferter sächsischer Dorfarchitektur, nicht um Kataloghäuser oder Modisches: Wirklich Modernes wird auch im Ländlichen sehr selten gebaut. Es werden in dem Wettbewerb alle Arbeiten bis zu ihren Abschlüssen gewertet. Mitunter ist es auch schwer, sich zu entscheiden, denn die Objekte waren und sind oft recht gegensätzlich und kaum weniger als 120 Bewerbungen gehen immer ein. Alle Arbeiten, die die Vorauswahl „überstanden“ haben, werden auch besehen – und das sind „die Erlebnisse für alle“! Manchmal ging eine Tour fast bis zu nachtschlafener Zeit - alle hatten aber alle Leistungen zu sehen und jede ist für sich originell. Jede Lösung wird durch die verschiedenen Nutzungen und Neigungen der Bauherren bestimmt. Da die historischen, dörflichen Bauten meist Wohn- und Wirtschafbauten waren, gestatten sie es bei Umbauten, großzügig zu handeln. Die Probleme bestehen jetzt darin, aus der unübersehbaren Fülle der Angebote das Geeignetste und das finanziell Akzeptable auszuwählen. Die längst rar gewordenen Handwerker beraten mit dem, das sie kennen, aber sie kennen nicht die Vorstellungen der Familie der Bauherren. Die Umsichtigen unter ihnen sind informiert und wenn sie geschickt sind, können sie viel selbst erledigen und preiswert bauen. Die keramischen Fliesen des Hausflures wurden in Belgien ausgewählt von dort bezogen. Zu denen, die sehr bewusst handeln, gehört Herr Polster. Er kauft „die baulich steigerungsfähige“ alte Großbothener Schule (Foto), eigentlich ein kleines Gärtnergehöft aus dem späten 18. Jahrhundert: ein massives Wohnhaus mit einem einfachen Fachwerkobergeschoss aus Nadelholz. Vom Flur des Hauses wurde hinten die Küche abgetrennt, die Wohnstube wurde als Schulstube genutzt. Daran war später eine kleine Scheune angefügt worden. Wer in so ein Haus hineinreißt, wird „überrascht“ und die Überraschung überwältige ihn. Beruflich hat der Eigentümer mit Bauen nichts zu tun – jetzt ist er auch ein Maurer, Statiker, Tischler, Zimmermann. Er musste „als Autodidakt“ das lange, waagerechte Holz wechseln, auf dem die senkrechten Hölzer des Fachwerkes stehen. Da es kein so langes Eichenholz gibt, musste es gestückelt werden. Das tat er durch ein „schräges Hakenblatt“ und weist sich als perfekter Zimmermann aus. Danach konnten die Fachwerkwände Stück für Stück saniert werden. Desolate Deckenbalken und Sparren „anschuhen“? Unterdessen auch keine Hürde für ihn. Als Umweltbewusster lehnt er Gipskarton und Gasbeton ab und setzt auf den bewährt-großartigen Ökobaustoff Strohlehmziegel. Holzfenster in der überlieferten Größe und Teilung sind für ihn selbstverständlich! Die Decke über der Schulstube musste gewechselt werden. So liegen neue Balken quer zum Dachfirst, die Zwischenräume sind wieder mit „Deckern und Kriechern“ gefüllt. Dabei stoßen zwei Bretter aneinander, die Fuge zwischen den beiden Kriechern überdeckt ein Decker. Die spät-mittelalterliche Technik wurde wiederholt aber in freundlich hell geölten Eschenholze, wodurch der Raum aufgewertet und aufgeweitet wird. Dort gibt es eine nur formal abgetrennte „amerikanische Küche“, von der aus man den Tisch mit Gästen überblicken und auch an der Unterhaltung teilnehmen kann. Auch da wurde die Heizung in der Scheuerleiste „versteckt“. Alles ist wohl erwogen, nichts zufällig. Reichlich Nebengelass bietet die unmittelbar anschließende Scheune. Die Familie zog erst ein, als das Haus fertig war und nicht in eine Baustelle. Der zugehörige Garten ist leider sehr klein, den zieren die Pflanzen, die es seit langem in allen Dörfern gibt. Eine alte Bruchsteinwand wurde bewährt, sicher und zuverlässig mit einem kleinen Erdwall abgedeckt, auf dem Mauerpfeffer wächst, auf den auch die Pflanzen wachsen, die der Wind dahin trug. In all den Jahren als Juror dieses Wettbewerbes lernte ich so eine perfekte Lösung durch einen Außenstehenden nur einmal in Leulitz kennen.
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Ländliches Bauen: erhalten – pflegen – gestalten
Ländliches Bauen: erhalten – pflegen – gestalten
von Rudolf Priemer
Meldung vom 20.07.2020