Die vierte sächsische Landesausstellung widmet sich dem weiten Thema der Industriekultur. Zwar war Grimma nie ein Großindustrie-Standort. Dennoch entwickelten sich im 19. und 20. Jahrhundert namhafte Betriebe, die mit besonderen Produkten weit über Deutschland hinaus auf sich aufmerksam machten. Ideen- und initiativreiche Unternehmer fanden Marktlücken für Angebote, die in einer durch das Handwerk geprägten mitteldeutschen Kleinstadt entstehen konnten. Originelles Design, perfekte Funktionalität, der Einsatz hochwertiger Rohstoffe und höchste Qualität in der Verarbeitung sorgten dafür, dass auch der Ort bekannt wurde, in dem die Produkte hergestellt wurden. Symbolisch für die Industriekultur in Grimma werden auf der kommunalen Website unter www.grimma.de/industriekultur verschiedene Produktionsstandorte vorgestellt. Historiker Rudolf Priemer schrieb seine Gedanken zur Industriekultur in Grimma auf.
Zur Vorgeschichte
Alles begann mit den Silberfunden bei Freiberg im 12. Jahrhundert. Der Reichtum wurde über Jahrhunderte vom Erzgebirge verteilt, in Leipzig vermehrt und in Dresden "vermährt", im Sinne von ausgegeben. Vor 200 Jahren kamen die Dampfmaschinen in das Land. Es wurde alles schneller, preiswerter und in größerer Stückzahl hergestellt. Die Fabrikarbeiter reichten kaum aus, denn es wurden viele neue Fabriken gebaut. Damit waren auch Umfassende politische Veränderungen verbunden. Das längst wirtschaftlich herrschende Bürgertum erzwang durch die Revolution von 1830, vom stockkonservativen Staat eine fortschrittliche Verfassung, und auf dieser Grundlage längst überfällige Staatsreformen. Durch die Änderung der Agrarverfassung entstand ein solides Mittelbauerntum, das bis 1860 in der Lage war den Bedarf an Lebensmitteln im dicht besiedelten Deutschland zu decken. Die Menschen aus den Dörfern wurden überall im Industriestaat gebraucht. Sie zogen in die schnell wachsenden Städte, wenn sie nicht dahin auspendelten. Auf einmal wurde alles Mögliche gebraucht und auch gekauft. Das ging nur, weil sich die Arbeitenden zusammenschlossen, ihre Forderungen bekundeten und sich so ihre Lage deutlich verbesserte.
Grimma und die Fabriken
Industrialisierung fand vor 200 Jahren erst einmal in Leipzig statt. Denn schon immer war die große Handelsstadt auch eine Handwerks- und Manufakturstadt. Bis zu seinem Tod, 1826, war Drucker und Verleger Georg Joachim Göschen Grimmas größter Arbeitgeber mit 30 Beschäftigten. Um 1850 rückte der Bergbau am Hengstberg auf den ersten Platz der größten Betriebe. Die beiden Grimmaer Bahnhöfe verlockten anfänglich nicht dazu, dass sich eine Industrie ansiedelte. Mit Gas-, Wasser- und Klärwerk wurde der Anschluss an die Stadthygiene geschaffen, die Straßen mit Trottoiren und Steinpflaster versehen. Grimma galt lange als eine konservative Beamten-, Militär-, Pensionärs- und Schulstadt, an der die großen wirtschaftlichen Entwicklungen vorbeigingen. In den Jahren 1840 bis 1890 verdoppelte sich die Einwohneranzahl durch innerstädtische Verdichtung, kaum durch Erweiterungen. Es gab einzelne Fabrikgründungen: 1890 die Handschuhfabrik Händel, die Papierwarenfabrik wurde 1897 in der Leipziger Straße erbaut, die ersten Wäschereien siedelten sich an. Nach der Jahrhundertwende folgte die Spitzenfabrik, 1910 die Etuifabrik, die Essig- und Senffabrik Höme und die Zigarrenfabrik Raue. Die Zigarren- und die Papierwarenfabrik beschäftigten Frauen in Heimarbeit.
Eine einleuchtende Idee
Eine interessante und prägende Grimmaer Persönlichkeit war der Schlossermeister Ferdinand Walther. Nach abgeschlossener Lehre ließ er sich als Meister 1897 in der Altstadt nieder, er erledigte alle anfallenden Reparaturen und Neuanfertigungen gewissenhaft. Er war äußerst rührig. Ganz neue Aufgaben sah er in der sich rasant entwickelnden Schwachstrom-Elektrotechnik. Dafür erfand er patentierte Lösungen und erweiterte am Vogelberg (Karl-Marx-Straße) ein neues Werk mit einer Kunstschmiedeabteilung. Die dazugehörige Gießerei für die Gehäuse der Schaltkästen entstand nahe der Eisenbahn. Er stand seinen Arbeitern verständnisvoll zur Seite und motivierte sie zu arbeiten. 1935 begann er ein Siedlungsprogramm für Werksangehörige im Nordwesten der Stadt. Die neue Siedlung bestand aus solide gebauten, klar gegliederten Häusern im „Heimatstil", einem Kultur- und Sportareal mit markantem Turm und einem Altersheim. Ferdinand Walther verließ 1945 Grimma und baute sein Zweigwerk in Bad Reichenhall nach den gleichen Prinzipien aus. Das Grimmaer Werk wurde volkseigen. Schaltanlagen werden noch heute in Grimma produziert. Die ESA Grimma ist der größte industrielle Arbeitgeber der Stadt.
Von der Mühle zur Maschine
Bereits 1876 kaufte die Familie Gleisberg die Großmühle der Stadt ab. In den folgenden Jahrzehnten baute sie den Komplex zu einer Industriemühle um. Auch die grundherrschaftliche Döbener Getreidemühle zog für industrielle Zwecke schon früh ein Stück Mulde abwärts. Mitte des 19. Jahrhunderts entstand daraus eine mechanische Werkstatt. Als es 1913 auf dem Terrain unterhalb des Wehres zu eng wurde, ging die „Maschinenbau AG Golzern-Grimma" nach Grimma. 1914 stand der Betrieb mit 236 Männer plötzlich kurz vor der Pleite, weil die Auslandsverbindungen gekappt wurden. Der Einstieg in die Rüstungsindustrie half aus der Misere. 1925 konnten 20 Prozent Dividende an die Aktionäre ausgezahlt werden! An der Bahnhofstraße steht der vorbildliche Ziegelrohbau in dem lange die Dreherei untergebracht war. Die Zeit der ruhigen Entwicklungen war nach dem ersten Weltkrieg vorüber. Kraftfahrzeuge und Elektromotoren entschieden, Rundfunk und Medien beschleunigten alles, aber noch schneller stiegen die Lebenserwartungen. Es gab ab 1933 keine Fabrikgründungen, wohl aber erste Staatsbetriebe und eine straffe zentralisierte Wirtschafslenkung. Sie gewann deutlich größeren Einfluss auf die absolutistische Politik. Grimma wurde nicht direkt vom zweiten Weltkrieg, wohl aber genauso durch die Nachkriegszeit betroffen.
Die Industrialisierung Grimmas wurde verspätet nachgeholt
Die volkseigene Wirtschaft in der Deutschen Demokratischen Republik hinkte immer der kapitalistisch gewandelten nach und unterlag ihr nach ihrem 40-jährigen Experiment. Was aber geleistet wurde, gehört zu den glanzvollsten Leistungen des Volkes. „Die Maschinenbau Grimma" wurde schon 1959 der Leitbetrieb für den Chemieanlagenbau in der DDR. Der „CLG Leipzig-Grimma" konnte 1986 noch einmal wesentlich erweitert werden durch den beispiellosen Aufstieg zu einem Betrieb, in dem schließlich 3.000 Werktätige beschäftigt waren. Man konnte sich im Anlagen- und Apparatebau immer auf erfahrene und engagierte Mitarbeiter verlassen, die ständig größere Aufgaben meisterten. Die Qualitätsprodukte, unter anderem Rohrbündelwärmeüberträger, exportierte das Unternehmen in die ganze Welt. Die Forschung und Erprobung des Chemieanlagen-Industriezweiges konzentrierte sich im Leitbetrieb MAG Grimma, der sich ständig nach Süden erweiterte.